Es gibt zwei Arten, auf die ich Halloween normalerweise verbringe. Letztes Jahr habe ich gearbeitet – Nachtdienst. Jeder, der schonmal während eines Feiertags auf einer Station mit angeschlossener Notaufnahme Dienst geschoben hat, weiß, dass es … angespannt ist. Nicht meine bevorzugte Art, Halloween zu feiern.
Viel lieber gehe ich in meinen Lieblingsclub, eine wunderschöne Disco-Bar-Hybride der Schwarzen Szene, und feiere die Gruselnacht des Jahres mit angemessener Kleidung und mehr Alkohol, als vernünftig sein kann. Das ist dieses Jahr natürlich nicht möglich.
Ich bin sicher, ihr habt auch eure Traditionen und Gewohnheiten, und vieles wird nicht machbar sein. Nicht 2020.
Um trotzdem ein bisschen Spaß in diesen Tag zu bringen, habe ich eine kleine Geschichte für euch, die euch hoffentlich ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Und ich schwöre, es ist nicht so passiert. Jedenfalls nicht genau so…
Happy Halloween, meine Lieben!
Bei mir ist immer Halloween.
So erkläre ich es zumindest etwaigen Besuchern, die sich den gewundenen Weg vom quietschenden Gartentor bis hoch zu meinem Haus trauen, vorbei an Kürbissen mit glühenden Augen, einem schiefen Grabstein und einem kahlen Baum, der seine bleichen Äste in den Himmel reckt. Keiner von den Sterblichen muss wissen, dass ich gegenwärtig eine hundertjährige Strafe absitze. Eine vollkommen unverdiente Strafe, wie ich hinzufügen möchte. Ich habe einfach nur den Zeitpunkt verpasst, ab dem der internationale Verband Übernatürlicher und Magischer Kreaturen beschloss, die Kreuzkröte unter Naturschutz zu stellen. Tja, und schon hockt man hundert Jahre lang in einer langweiligen Vorstadt und muss seine gentechnisch veränderten Glühkürbisse als Halloween-Dekoration tarnen. Die ersten zwanzig Jahre waren die härtesten, aber seit ich den Kessel in den Keller gestellt habe und das Skelett nach Beschwörungen nicht mehr im Garten liegen lasse, stehen viel seltener Menschen in Uniformen und mit besorgten Gesichtsausdrücken vor meiner Tür. Vielleicht bekomme ich sogar eine gewisse Strafmilderung, weil ich Fledermäuse auf dem Dachboden wohnen lasse.
Wie gesagt, bekomme ich nicht häufig Besuch. Die Menschen halten argwöhnischen Abstand vor der Verrückten in dem windschiefen Haus mit den beiden Türmchen, und die Übernatürlichen und Magischen sind angehalten, nicht mit mir zu kommunizieren. Wenn Sie mich fragen – so macht man Hexen erst böse und verrückt. Wer ein paar Jahrzehnte nur Kürbisse und Fledermäuse zum Gesprächspartner hatte, der dreht schon mal durch. Und das alles nur wegen ein paar Kreuzkröten.
Ich habe mich gerade zu einem wohlverdienten Mittagsschläfchen hingelegt, als die Klingel durchs Haus schallt. Sie klingt wie ein menschlicher Schrei und ist geeignet, unerwünschte Besucher abzuschrecken. Ich drehe mich auf die andere Seite und warte, dass sie verschwinden.
Eine halbe Minute später klingelt es erneut. Nanu? Da meint es aber jemand ernst.
Nach dem dritten Klingeln stehe ich auf und schlurfe zur Tür. Ich habe wenig geschlafen und meine Haare sind ganz zerzaust, vielleicht reicht das, um diese Idioten in die Flucht zu schlagen. Außerdem sind meine Fingernägel dreckig, aber nur, weil ich Unkraut bei den Kürbissen gejätet habe.
Vor der Tür stehen zwei junge Männer in grellbunten Klamotten. Auf der Brust tragen beide das Logo eines großen Telefonanbieters. Der kleine Dicke steht vorne und lächelt tapfer. Der große Dürre steht einen Schritt hinter ihm und hält eins dieser modernen Tablets umklammert, als hinge sein Leben davon ab.
Na ganz toll. Vertreter.
„Ja?“, frage ich und gebe mir größte Mühe, wie die böse Hexe aus dem Märchen zu klingen, vor der sich alle Menschen unterschwellig noch fürchten.
Der Dicke macht einen Schritt nach vorne. „Guten Tag“, sagt er und sein Lächeln verrutscht ein bisschen. „Fon-1 Deutschland. Wir würden Ihnen gerne ein Angebot unterbreiten. Es geht um Ihr Internet…“
„Ich hab kein Internet“, rutscht es mir raus.
Der dicke Vertreter zieht eine Augenbraue hoch und lächelt vertraulich. „Na, Internet hat doch heutzutage jeder. Bei welchem Anbieter sind Sie denn? Fon-1 hat sich maßgeblich an dem Ausbau der Leitungen beteiligt und wir haben das Vergnügen, unseren Kunden blitzschnelles Internet zu einmalig günstigen Preisen anbieten zu dürfen.“
Der große Dürre nickt.„Für nur Vierzehnneunundneunzig im Monat können wir Sie auf die schnellste Leitung updaten“, erklärt der kleine Dicke weiter. „Dazu bekommen Sie dann alle Ihre Fernsehprogramme in UltraHD, und ein Festnetzanschluss ist selbstverständlich auch enthalten.“
„Ich sehe auch kein fern.“ Okay, das ist gelogen. Aber ich bezweifle, dass mein alter Röhrenfernseher UltraHD empfängt und möchte nicht, dass der Kerl mir auch noch eine neue Glotze aufschwatzt. „Ich bin zufrieden mit meinem Anbieter, danke.“
„Wir könnten auch noch einen Mobilvertrag drauflegen“, schlägt der Dicke vor. „Allnetflat, unbegrenztes Datenvolumen und ein niegelnagelneues Smartphone für nur Siebzehnneunundneunzig im Monat die ersten vierundzwanzig Monate lang.“
Ich will mich einfach nur aufs Sofa legen und schlafen. Was taugt ein gruseliger Garten, wenn er die Menschen nicht abhält? Die Kürbisse könnten theoretisch beißen, aber der internationale Verband Übernatürlicher und Magischer Kreaturen hat mich dazu angehalten, solches Verhalten nicht zu fördern. Seit ein paar Jahren habe ich handzahme Kürbisse. Die bissigen mussten in den Keller ziehen, wo sie nur nach den Fledermäusen schnappen können. „Ich möchte gar keinen neuen Vertrag und auch kein neues Handy. Smartphone. Wirklich nicht.“ Ich bin schon stolz auf mich, dass ich herausgefunden habe, wie diese Festnetztelefone funktionieren.
„Na, Vertrag.“ Er lacht dieses komische Vertreterlachen, das dem potentiellen Kunden suggerieren soll Hey, ist doch alles nicht so wild, mach dir nicht so viele Gedanken. „Es ist ja nur ein Angebot. Fon-1 hat sich qualitativ verbessert und möchte, dass die Verbraucher davon profitieren.“
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich keine Fon-1-Kundin bin und es auch nicht werden möchte. Kann ich die Typen nicht irgendwie abwimmeln? Was macht der große Dürre mit dem Tablet überhaupt? Vermutlich tritt er in Aktion, wenn das Opfer eingewilligt hat. Menschliches Vertragswesen ist das Äquivalent zu einem guten, soliden Fluch. „Ja, das ist ja nett, aber ich möchte erstmal darüber nachdenken“, starte ich einen neuen Versuch. „Kann ich nicht vielleicht in Ihren Laden kommen? Sie haben doch einen Laden?“
„Selbstverständlich haben wir einen Laden“, brüstet der Dicke sich und nennt mir auch gleich die Adresse und die Öffnungszeiten. Dann fügt er hinzu: „Da würde Sie das Angebot leider gleich das Doppelte kosten.“
„Ist es denn dann ein anderes Angebot?“
Die Frage scheint ihn aus dem Konzept zu bringen, doch nur kurz. Er ignoriert sie dann einfach. „Sie haben jetzt die einmalige Chance, unser Angebot anzunehmen. Vierzehnneunundneunzig und dafür ultraschnelles Internet, UltraHD und einen störungsfreien Festnetzanschluss. Bei der Konkurrenz zahlen Sie dafür überall mindestens das Doppelte!“
„Bei Ihnen im Laden auch“, erinnere ich ihn. So langsam geht meine Geduld zur Neige. „Passen Sie auf, ich mag ja alt sein, aber ich bin nicht dumm. Ich schließe nicht mal eben so zwischen Tür und Angel einen neuen Vertrag ab.“
Der Dicke macht noch einen Schritt nach vorne. „Wir können auch reingehen“, schlägt er vor.
So weit kommt’s noch. Ich verwandle ihn in einen Frosch und seinen dürren Kumpel in einen Gecko und sperre beide in den Keller.
Am Abend steht eine Vertreterin des Internationalen Verbands für Übernatürliche und Magische Kreaturen vor der Tür. „Meine liebe Xenia“, sagt sie und lächelt ganz freundlich. „Das war wirklich ungeschickt von dir.“ Ihr Namensschild weist sie als Walburga aus.
Ich lasse sie rein, koche Tee und serviere Kuchen. Leider stimmen die Vorurteile über die Backkünste von Hexen, zumindest in meinem Fall. Walburga hustet, trinkt einen großen Schluck Tee und schiebt das trockene Gebäckstück unauffällig beiseite. „Ich muss mit dir über dieses Missgeschick von heute Mittag reden“, sagt sie dann.
War ja klar. Nichts darf man mehr. Früher musste man sich für so was nicht rechtfertigen… Nach dem Tee führe ich Walburga in den Keller. Dort sitzen die bissigeren Kürbisse nebeneinander und ihre glühenden Gesichter erleuchten die Düsternis. Als wir eintreten, drehen ein paar von ihnen sich zu uns um.
„Oh, Xenia“, seufzt Walburga. „Du hängst immer noch an ihnen, wie ich sehe.“
„Draußen stehen nur die unbeweglichen“, verteidige ich mich.
„Wo sind diese bedauernswerten Männer?“
Tja, das ist eine gute Frage. Ein echter Hexenkeller ist groß, dunkel, feucht und voller Ratten, Kessel und – in meinem Fall – Kürbisse. Wenn Sie mal in einem sind, wo die Wände nicht aus unbehauenem Stein bestehen, sind Sie wahrscheinlich einer Betrügerin aufgesessen, oder einer dieser modernen Heile-Welt-und-Naturschutz-Hexen. Nach kurzer Suche finden wir den Gecko, doch der Frosch ist wie vom Erdboden verschluckt.
Ich will gerade eine Ausrede erfinden, da rülpst ein großer Kürbis und spuckt etwas aus. Au Backe. Ich bücke mich danach und hebe einen Froschschenkel hoch. „Das Beste lässt du über“, tadele ich den Kürbis und tätschele ihn, um den Worten die Spitze zu nehmen. Dann drehe ich mich zu Walburga und wedele mit dem Beinchen: „Hab ihn!“
Walburga seufzt wieder schwer. „Xenia, meine Liebe, ich denke, du solltest mich vor den hiesigen Rat der Übernatürlichen und Magischen Kreaturen begleiten.“
Am Ende zwingen sie mich, den Gecko wieder in einen Mann zu verwandeln. Für den Froschschenkel ist es leider zu spät, und ich darf ihn an einen Kürbis verfüttern.
Der große Dürre blinzelt ein bisschen verwirrt, als ich ihn vor meiner Haustür zurückzaubere. „Oh“, sagt er. „Gut. Jetzt fühle ich mich gleich besser.“ Er mustert mich, seine Hände, dann wieder mich und sagt: „Wissen Sie, als ich so in Ihrem Keller saß, habe ich mich gefragt, wo Ihre Telefonleitungen verlaufen. Fon-1 bietet da wirklich ausgezeichneten Service an, vielleicht machen wir gleich einen Termin mit einem Techniker, um zu checken, ob bei Ihnen alles den Normen entspricht, ja?“
Und dafür ist mir die Chance auf fledermausbedingte Strafmilderung flöten gegangen.