Eigentlich hatte ich nicht vor, ernsthaft unter die Buchblogger zu gehen. Aber dieses Buch ist zu wichtig, um es in meinen Büchern des Monats zusammenzufassen.
Und eigentlich wollte ich es gar nicht lesen. Es liegt schon seit Wochen bei uns im Stationszimmer. Eine Auszubildende hatte es mal mitgebracht und liegen gelassen. Zur allgemeinen Verfügung. Ich dachte mir Ach, komm, was bringt es mir, das Gejammer von anderen Schwestern zu lesen? Die versuchen am Ende auch nur, schönzureden, was sich nicht schönreden lässt.
Was hab ich mich geirrt. Ich habe dieses Buch innerhalb weniger Stunden durchgelesen und finde mich auf jeder einzelnen Seite wieder. In Zusammenarbeit mit Jarka Kubsova hat Franziska Böhler hier richtig gute Arbeit geleistet.
Das Buch erschien 2020 beim Heyne-Verlag.
I’M A NURSE
Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe – trotz allem
Dieses Buch sollte als Pflichtlektüre eingeführt werden – für jeden Politiker und jede Politikerin, der/die über die Pflege sprechen möchte.

Franziska Böhler ist Intensivschwester. In I’M A NURSE beschreibt sie schonungslos, ohne Illusionen und ohne Beschönigungen den Alltag in Krankenhäusern, Pflegeheimen und in der häuslichen Versorgung. Sie schreibt über die guten und die schlechten Seiten des Berufs Gesundheits- und Krankenpfleger*in, über Sorgen und Probleme, Licht und Schatten, über den alltäglichen Wahnsinn.
Hatte ich bei einigen Passagen Tränen in den Augen, weil ich so gut mitfühlen konnte? Absolut. Als Krankenschwester liest man dieses Buch ja doch anders als eine fachfremde Person. Alles, was hier beschrieben wird, habe ich selbst schon so oder ähnlich erlebt. Und jetzt, wenige Minuten, nachdem ich das Buch beendet habe, möchte ich gleichzeitig heulen vor Verzweiflung und allen Menschen auf dieser Welt erzählen, warum ich meinen Job so verdammt sehr liebe. Ich kann und will nicht darauf verzichten, und ja – ich bin stolz, Krankenschwester zu sein, und dazu habe ich jedes Recht.
Das Buch ist in mehrere Sinnabschnitte gegliedert. Es gibt ein Vorwort, in dem zusammengefasst wird, was in unserem Gesundheitssystem im Argen liegt und wer die Leidtragenden sind – nämlich die Patient*innen, die Pflegenden, die Ärzte. Dann folgen Kapitel voller echter Geschichten, grob unterteilt in Geburt und Kindheit, Mitten im Leben und Alter und Sterben. Es sind Mails abgedruckt, die Franziska von unglücklichen, erschöpften, zerrissenen Krankenpfleger*innen, aber auch von Angehörigen von Patient*innen bekommen hat, zusätzlich zu ihren eigenen Erlebnissen. Immer dabei: eine sachliche Bewertung der Geschehnisse, kein Jammern, kein Glorifizieren, nur die ungeschönte Realität. Für jemanden, der sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt hat, sicherlich schockierend. Für mich mein Alltag – und trotzdem immer wieder erschreckend. Beängstigend.
Es geht um den ewigen Stress, die innere Zerrissenheit, die moralischen Verpflichtungen, denen man nicht mehr gerecht werden kann, das schlechte Gewissen, die Angst vor Fehlern, den Frust, das gelegentliche Trauma, das man mitnimmt und mit dem man leben muss. Aber auch um die vielen, vielen Dinge, die unseren Beruf so wundervoll machen: interdisziplinäre Zusammenarbeit, moralisches und emotionales Wachstum, die Herausforderungen, die man täglich meistert, Stolz auf die eigene Fachkompetenz, und vor allem: die Arbeit mit den Menschen. Mit den Menschen im Team, in der Klinik, mit Patient*innen und An- und Zugehörigen. Die kleinen Erfolge und die gelegentlichen großen Wunder, für die man auch die schweren Zeiten ertragen kann.
Besonders gut und wichtig finde ich, dass Franziska sich bei ihrer Betrachtung nicht auf die Intensivpfleger*innen beschränkt. Auch Pflege auf Normalstationen findet angemessene Erwähnung (was ich als Schwester auf einer Normalstation nicht unbedingt gewohnt bin), ebenso wie die Altenpflege und – besonders wichtig! – die pflegenden Angehörigen, ohne die unser Gesundheitssystem schon lange kollabiert wäre.
Außerdem geht sie auf den eklatanten Hebammennotstand ein, der so gerne ignoriert und unter den Tisch fallen gelassen wird. Ein ausführliches Kapitel lang beschäftigt sie sich mit den Zuständen in Kreißsälen und den Folgen, die eine Unterbesetzung derselben für die werdenden Mütter, aber auch für die Hebammen hat. Gleichzeitig ist dieses Kapitel das einzige Manko, was ich an dem Buch finde, denn eines findet auch hier wieder keine Erwähnung: die stille Geburt. Wenig wird so ungern thematisiert wie die Mutter, die ein totes Baby zur Welt bringen muss. Hebammen befassen sich nicht gerne damit, Krankenschwestern und Ärzte auch nicht und die breite Öffentlichkeit schon gar nicht. Ich habe Frauen vor und nach stillen Geburten betreut, auch währenddessen, wenn im Kreißsaal schlicht kein Platz für sie war. Es ist, um es mit einfachen Worten zu sagen, nicht schön. Für niemanden. Umso schlimmer, dass dieses Thema immer noch totgeschwiegen wird.
Eine weitere Frage hat sich mir beim Lesen immer wieder in den Kopf geschlichen. Warum wird mein Beruf immer mit Ausscheidungen verbunden? Glaubt die breite Masse wirklich, dass Schwestern und Pfleger nichts weiter tun, als Urin und Kot aufzuwischen, oder sind das einfach blöde Sprüche, die man aus Verlegenheit von sich gibt? Damit man nicht darüber nachdenken muss, wie verdammt anspruchsvoll der Job ist? Pflege ist so viel mehr.
Und das bringt Franziska wirklich rüber. Ich hätte nicht gedacht, dass man so ehrlich über den Job sprechen und ihn gleichzeitig so attraktiv wirken lassen kann.
Klingt richtig gut und auch akkurat, wenn du dich darin wiederfinden kannst. Ich habe auch viele FreundInnen die Pflegekräfte sind und was die berichten – da habe ich echt Respekt. Als ich in den USA gelebt habe, wenn ich da jemandem erzählt habe, meine beste Freundin ist Krankenschwester bin ich immer auf Erfurcht gestossen: oh wow, richtig gut! Das war wie wenn man hier erzählt, man wäre Ärztin. Hatte das Gefühl, dass der Job da viel besser angesehen wird, ich wünsche mir, dass das hier auch so sein wird – und auch dass sich tatsächlich was verbessert an den Arbeitsbedingungen! Ich lese gerade ein ähnliches Buch, in dem eine Krankenschwester von ihrer Ausbildung erzählt (Systemrelevant heisst das), in der sie direkt von Anfang an zu viele Patient*innen betreuen musste und auch emotional komplett alleingelassen wurde, weil einfach niemand dort Zeit für sie hatte. Kommt vielleicht auch aufs Krankenhaus an, aber echt krass, da ist mir auch zum Heulen zumute oder eher zum Schreien und auf die Strasse gehn.
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Wenn ich sage, dass ich Schwester bin, kommt meistens nur „Ach krass, das könnte ich nicht!“ Ich will gar keine Heldenverehrung, wir sind keine Helden – wir sind nur Leute, die ihren Job machen. Ist halt ein wichtiger Job, und jede*r braucht im Laufe des Lebens möglicherweise einmal Pflege. Da wünscht man sich doch, eine fachlich qualifizierte Person am Bett stehen zu haben, die idealerweise ausgeschlafen ist und nicht in Gedanken bei unzähligen anderen Patient*innen, die sie noch zu betreuen hat.
Es gibt immer wieder diese Umfragen, in denen dann rauskommt, dass Feuerwehrleute und Krankenpfleger*innen von der Gesellschaft sehr geschätzt werden. Anerkennung ist definitiv da, kommt aber „nur“ von der Allgemeinbevölkerung. Und während es sehr freundlich ist, dass die Menschen sich auf die Balkone stellen und für mich und meine Kolleg*innen klatschen, hilft uns das gleichzeitig ungemein wenig. Klatschen bezahlt nicht meine Rechnungen, gleicht nicht meinen kaputten Schlafrhythmus aus, lindert nicht die Rückenschmerzen, die ich mich 26 nicht haben sollte, und hilft auch nicht, wenn mich traumatische Bilder bis in die Nacht verfolgen. Um das zu verbessern, müsste die Politik aktiv werden, aber die können halt besser reden als handeln.
Das Buch, das du erwähnst, kenne ich nicht – werde ich aber mal googlen 😉
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Das hast du genau richtig ausgedrückt! Ich will mich auf jeden Fall dafür einsetzen, dass sich da was tut.
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Besser kann man es nicht rüberbringen. Respekt. Beste Grüße Claudia
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Danke ❤
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