In Büchern und Filmen – Geschichten allgemein – wird die Realität schonmal ein bisschen gebogen, um in den Plot zu passen. Meistens habe ich damit keine Probleme, schließlich ist ein zentraler Aspekt des Geschichtenerzählens, sich etwas Neues auszudenken und das dann auf mitreißende Weise zu erzählen.
Es gibt allerdings einen Klassiker, über den ich mich immer wieder ärgern könnte: Reanimationen. Und anlässlich des Welt-Herz-Tages möchte ich mich darüber mal auslassen.
Wer kennt sie nicht, die dramatischen Szenen aus diversen Krankenhausserien? Der Monitor zeigt eine Flatline an, und der engagierte Assistenzarzt leitet Reanimationsmaßnahmen ein. Innerhalb weniger Sekunden steht ein Oberarzt dabei und wirbelt einen Defibrillator durch die Luft; und schon ist der Patient gerettet oder aber, wenn die Dramatik der Serie es erfordert, endgültig tot. Ich weiß, dass ihr solche Szenen kennt. Jeder kennt sie.
So funktioniert das nicht.
Beginnen wir mit dem Missverständnis, das durch die einschlägigen Serien verbreitet wird: der Lebensrettung durch den Defibrillator. Daran ist an und für sich nichts auszusetzen, Defibrillatoren sind wunderbare Geräte, die schon unzählige Leben gerettet haben. Aber eine Nulllinie lässt sich nicht defibrillieren. Defibrillation wirkt nur bei einem Herzen, das noch Aktion zeigt, bei Kammerflimmern oder –flattern, Vorhofflimmern und –flattern. Bei einer Asystolie – also dem Zustand absoluter Reglosigkeit des Herzens, die im EKG als Nulllinie angezeigt wird – bringt der Defibrillator rein gar nichts, egal, wie sexy der Arzt ist, der ihn schwingt.
Bei einer Asystolie kann man nur eine Herzdruckmassage durchführen und entsprechende Medikamente geben in der Hoffnung, das Herz nochmal in Gang zu bringen.
Was mich zum zweiten, viel größeren und gefährlicheren Missverständnis führt: Herzdruckmassage! Die funktioniert nicht, wenn man neben dem Bett steht und mit waagerecht vom Körper weggestreckten Armen ein bisschen auf den Brustkorb klopft. Eine Herzdruckmassage ist nur effektiv, wenn der Druck mit beiden Händen senkrecht auf den Brustkorb ausgeübt wird. Das bedeutet, man kniet in der Regel im Bett, das auf sturzfreundliche Höhe heruntergefahren wird, und beugt sich über den Patienten, um senkrecht drücken zu können – mit ganzem Körpereinsatz, denn es genügt nicht, die Arme anzuwinkeln und dann zu strecken. Der ganze Brustkorb muss bei jeder Kompression nach unten gedrückt werden, das erfordert eine Menge Kraft. Deswegen ist es am effektivsten, wenn man sich damit abwechselt.
Das gilt selbstverständlich auch für die Laienreanimation. Medizinisches Fachpersonal weiß, wie fehlerhaft gewisse Serien sind. Der Laie weiß es vielleicht nicht. Dabei ist Laienreanimation im Ernstfall überlebenswichtig! Der Erste Hilfe-Kurs, den man vor zig Jahren für den Führerschein gemacht hat, darf gern und sollte wirklich mal aufgefrischt werden. Es kostet fast nichts und kann Leben retten.
Kurze Erinnerung an dieser Stelle. Bei einem Herzstillstand umgehend die 112 wählen, die W-Fragen (Was ist passiert? Wo ist es passiert? Wie viele Verletzte? Wer meldet? Und, ganz wichtig: Warten auf Nachfragen!) beantworten und unter Beachtung des Eigenschutzes mit der Herzdruckmassage beginnen. Dazu den Patienten flach auf den Rücken legen, bitte auf eine feste Fläche und nicht aufs Sofa, linke Hand zur Faust ballen, mit der rechten Hand umschließen und senkrecht mit gestreckten Armen auf die Stelle zwischen den Brustwarzen drücken, bei Frauen da, wo die BH-Bügel sich treffen. Eine Vorstellung vom notwendigen Rhythmus bieten die Lieder Highway to Hell von AC/DC und Stayin‘ Alive von den Bee Gees. Die Beatmung kann bei der Laienreanimation vernachlässigt werden; viel wichtiger ist die andauernde Herzdruckmassage bis zur Ablösung durch medizinisches Fachpersonal.
Nochmal zurück zu den TV-Reanimationen. Abgesehen davon, dass dort grauenhaft reanimiert und fast gar nicht beatmet wird, sind die Zimmer nach Reanimationen immer unfassbar sauber. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass das eine weitere, wenn auch unwichtige Lüge ist.
Reanimationen können Leben retten. Ein falsches Bild von ihnen zu vermitteln, halte ich für hochgradig gefährlich. Und es wäre wirklich nicht zu viel verlangt, zumindest die Herzdruckmassage angemessen darzustellen. Dass man in einer Sonnenschein-Fernsehkrankenhaus-Serie nicht unbedingt die unappetitlichen Seiten einer Reanimation zeigen muss – und glaubt mir, davon gibt es genug – sehe ich ein, aber eine vernünftige Herzdruckmassage? Viel zu wenig Menschen besuche Erste Hilfe-Kurse, aber sehr viele gucken diese Serien. Da könnte man doch wenigstens beim Thema Reanimation ein echtes Vorbild sein, oder?
Weitere Informationen zum Thema Reanimation und Laienreanimation findet ihr z.B. beim DRK.
Wie steht ihr dazu? Mögt ihr realistische, wenn auch manchmal unangenehme Beschreibungen und Darstellungen oder ist es euch lieber, dass man sich zurücklehnen und einfach die erzählte Geschichte genießen kann, ohne dass einem Blut um die Ohren spritzt?
Hallo Anna,
ich finde ehrlich gesagt, die Fakten sollten für eine sexy Story nie vernachlässigt werden. Die Animationsszene kommt ja auch vor allem vor, um das Publikum zu schocken und Spannung aufzubauen. Da darf es auch gerne schockierend zugehen. Und vor allem in dieser Hinsicht, denn ich glaube wirklich, dass die Serien unser Bild prägen und damit vielleicht sogar Leben gefährden! Danke dir für die Auffrischung!
LG, Tala
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Hallo Tala,
diese Krankenhausserien prägen definitiv das Bild der Zuschauer:innen, das erlebe ich immer wieder. Ein echtes Krankenhaus funktioniert eben anders als die Schwarzwaldklinik…
Eine „echte“ Reanimation samt Intubation und aller möglicher Komplikationen und Körperflüssigkeiten um 16 Uhr im Nachmittagsfernsehen zu zeigen, wäre vielleicht etwas viel verlangt – das will wirklich keiner sehen und es würde sicherlich zulasten der Einschaltquote gehen. Aber wenn die Fernsehärzt:innen wenigstens eine gescheite Herzdruckmassage durchführen würden! Das ist jetzt wirklich nicht schwer umzusetzen und würde die breite Masse vielleicht sensibilisieren und auch Ängste abbauen, im Ernstfall selber zu handeln.
Einer meiner Ausbilder sagte mal zu uns: „Was soll denn schiefgehen? Der Patient ist klinisch tot; man kann nichts mehr falsch machen außer gar nichts zu tun.“ So eine Erkenntnis kann auch im Alltag mal ein Leben retten. Ich würde mich freuen, wenn das mehr vermittelt würde, auch durch Krankenhaus- und Arztserien, die ja wirklich ein breites Publikum haben.
LG, Anna
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Hallo Anna,
ja, das sind weise Worte, die muss man sich vor Augen halten, egal, wie große Sorgen man sich gerade um denjenigen macht, man kann es gar nicht schlimmer machen!!! Ich denke auch, es ist nicht zu viel verlangt, die Szene so darzustellen, wie du beschreibst: direkt über dem Patienten knien, mit gestreckten Armen, auch wenn es brutal wirken mag. Das hat man dann in der Erinnerung, wenn man selber mal in diese Situation kommen sollte.
Liebe Grüße!
Tala
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